Die ersten drei Dramen

Die vier Mysteriendramen Rudolf Steiners zeigen eine Gruppe von Menschen auf ihrem individuellen Weg bewusster geistig-seelischer Entwicklung. An Situationen und Problemen, die in der Gegenwart spielen, wird deutlich, dass diese Gruppe sich bereits in früheren Leben begegnet ist. Ihr geistiger Lehrer ist Benedictus. Er berät und handelt aus Verantwortung für seine Schüler und leitet sie in freier, der individuellen Entwicklung entsprechenden Weise. Sieben weitere Hauptpersonen erscheinen: Johannes Thomasius, zu Beginn ein junger Maler – seine Gefährtin Maria, die am weitesten entwickelte Persönlichkeit der Gruppe ­–  Professor Capesius, ein anerkannter Historiker – sein Freund, der Naturwissenschaftler Doktor Strader – Theodora, eine junge Frau mit natürlicher „Sehergabe“ – Felix Balde, ein Repräsentant – subjektiver Mystik und seine Frau Felicia, eine Märchenerzählerin.

Im Verlauf ihrer Entwicklung begegnen die Charaktere Kräften, die sowohl in der Welt als auch unmittelbar in der menschlichen Seele wirken. Sie werden in den Dramen als übersinnliche Wesenheiten dargestellt. Lucifer (der „Herr der Wünsche“) erscheint als jene Kraft, die durch Schönheit und Kunst das seelische Erleben jenseits der sinnlichen, irdischen Grenzen repräsentiert, aber zugleich das Selbst durch Stolz und Selbstüberschätzung irritieren und das Tragen von Verantwortung vereiteln kann. Ahriman stellt die Kraft dar, die wissenschaftliches Denken ermög­licht; er verhindert zugleich, dass der Mensch wahrnimmt, auf welche Weise er mit der geistigen Welt verbunden ist, dass er selbst an ihr teil hat. Der Hüter der Schwelle ist dasjenige Wesen, das den Übergang zur geistigen Welt bewacht und verhindert, dass hierfür unvorbereitete Menschen mit ihrem Bewusstsein eindringen und dadurch Schaden nehmen. Unbewusste Teile der Persönlichkeit des Johannes Thomasius erscheinen als Doppelgänger und Geist seiner Jugend. Geistige Wesenheiten, die der menschlichen Seele helfen, sich mit dem geistigen Kosmos zu verbinden, erscheinen als Philia, Astrid, Luna. Das Element der Liebe wird durch die andere Philia in die Welt getragen.
Ein grosser Teil der Handlung um Johannes dreht sich um seine Beziehung zu Maria. Nach ihrer ersten Begegnung wird sie bald zu seinem spirituellen Mentor und zur Förderin seiner künstlerischen Fähigkeiten. Im ersten Drama – Die Pforte der Einweihung – wird Johannes mit dem Erlebnis seiner eigenen Wertlosigkeit konfrontiert. Durch die Hilfe und Liebe von Benedictus kann er dieses Erlebnis verarbeiten und wichtige Schritte in seiner spirituellen Entwicklung machen. Im zweiten Drama – Die Prüfung der Seele – ist Johannes abhängig von Maria. Dies resultiert aus ihrer gegenseitigen Beziehung während einer Inkarnation im Mittelalter. In dieser Zeit war Johannes im Bergbau im Dienste der Tempelritter tätig. Maria war ein Mönch, der ihn massgeblich beeinflusste und ihn gegen den Templerorden einnahm. Einer der Ordensritter war sein lange verloren geglaubter Vater – eine frühere Inkarnation von Capesius. Als Maria diese Zusammenhänge bewusst werden, weiss sie, dass sie sich von Johannes trennen muss, damit er aus eigenen Kräften lernt, sich zu entwickeln. Johannes ist von dieser Trennung erschüttert, sie konfrontiert ihn mit seinen Schwächen. Er gibt Maria auf, ändert seine Lebensrichtung und schreibt ein Buch über spirituelle Erkenntnis und Entwicklung. Währenddessen können unwillentlich Wünsche und Begierden in seinem Unterbewussten wachsen.

Grosse Teile der Handlung des dritten Dramas – Der Hüter der Schwelle – , zeigen die Konsequenzen, zu denen dies führt. Lucifer erhält die Möglichkeit, in Johannes eine unberechtigte Begierde zu Theodora  wachzurufen. Sie ist zu dieser Zeit mit Dr. Strader verheiratet. Diese Begierde schwächt das Leben Theodoras so sehr, dass sie stirbt. Maria, die noch geistig mit Johannes verbunden ist, widersteht für Johannes Lucifers Macht, indem sie gelobt, auf alle Gefühle des Genusses und der Befriedigung zu verzichten, die normalerweise mit der Entwicklung der eigenen inneren Kräfte einhergehen. Durch die heilende Kraft, die von diesem Gelöbnis ausgeht, wird Johannes in die Lage versetzt, sich selbst zu erkennen und seine Begierden zu überwinden. Er lebt aber nun in einem „gespaltenen“ Zustand. Durch Benedictus’ und Marias Hilfe hat er hellsichtige Fähigkeiten entwickeln können, die aber erst dann in rechter Weise angewandt werden, wenn er sie nicht für seine Alltagsinteressen missbraucht. Johannes verspricht dies, hält sich aber nur vorübergehend daran. Im vierten Drama wird das Dilemma dieser Persönlichkeitsspaltung anschaubar. Ein Hauptmotiv von – Der Seelen Erwachen – ist Johannes’ Versuch, sein Höheres und sein Niederes Selbst in Harmonie zu bringen.

Die Ideen, die Benedictus im ersten Drama vertritt, sind für Capesius vollkommen neu, und er befindet sich zunächst ausserhalb der bereits bestehenden Menschengruppe. Im zweiten Drama erlebt er den Durchbruch zu eigenen geistigen Wahrnehmungen und erfährt sich als Verkörperung im Mittelalter. Es wird ihm bewusst, dass er zu dieser Zeit seine Frau und seine beiden Kinder verlassen hat, um sich dem Templerorden anzuschliessen. Seine Frau starb, und die Kinder Thomas und Cäcilia wuchsen getrennt voneinander auf. Diese Kinder sind die früheren Inkarnationen von Johannes und Theodora. Cäcilia wuchs bei Pflegeeltern auf – die früheren Verkörperungen von Felix und Felicia Balde. Thomas und Cäcilia begegnen sich später und verlieben sich ineinander, ohne zu wissen, dass sie Geschwister sind. Als sie dies entdecken, kann die bereits vorgesehene Heirat nicht stattfinden. Diese unerfüllte Liebe ist es, die Lucifer, im dritten Drama, so manipulieren kann, dass sie zu Theodoras Tod führt. Capesius ist so überwältigt von seinem persönlichen Versagen als Ehemann und Vater, dass er mit diesen Schuldgefühlen nicht leben kann. Er versucht, vor sich selbst zu fliehen und gelangt in Lucifers Reich. Im dritten Drama verhelfen ihm Maria, Benedictus und Felicia Balde dazu, seine seelischen Kräfte so zu stärken, dass er die volle Verantwortung für sein Schicksal übernehmen kann. Er behält jedoch die Tendenz, sich von Schmerzen und Schwierigkeiten im Leben abzuwenden. Diese Neigung zur Weltflucht – hier ist Lucifer wirksam – muss Capesius im Verlauf des vierten Dramas überwinden lernen. Im Ringen um die neue Denkungsart, die er zu Beginn des ersten Dramas durch Benedictus kennengelernt hat, kommt er nun in engen Kontakt mit den Schülern des Benedictus, und in der Märchenwelt Felicias findet er Hilfe für die Annäherung an die geistige Welt.

Als moderner Naturwissenschaftler bringt Strader den Gedanken des Benedictus am meisten Skepsis entgegen. Aber seine naturwissenschaftliche Bildung und die Fähigkeit zu Objektivität und Redlichkeit lassen ihn gegen Versuchungen gefeit sein, denen Johannes und Capesius erliegen. Allmählich entwickelt er eine Wahrnehmungsfähigkeit für die geistige Welt, die er auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit anwenden kann. Im Mittelalter – dargestellt im zweiten Drama –  war Strader ein jüdischer Heilkundiger, ein Aussenseiter, gehasst von den Bauern und von den örtlichen Vertretern der Kirche. Vor ihnen floh er in die Burg der Tempelritter, zu denen damals auch Capesius gehörte. Auf seinem spirituellen Weg, wie er im dritten Drama geschildert wird, ist ihm seine Frau Theodora eine wesentliche Hilfe. Mit ihrer Unterstützung widmet sich Strader der Aufgabe, eine Maschine zu entwickeln, die eine grundlegend neue Art von Kraft nutzbar macht und eine grosse Wirkung auf unterschiedliche Bereiche des menschlichen Lebens haben wird.
Während dieser Forschungen dringt er in die Welt Ahrimans vor, und in der unmittelbaren Begegnung mit diesem Wesen erfahren wir etwas über dessen wahre Natur. Straders Erfindung misslingt jedoch. Ein weiterer Schicksalsschlag trifft ihn durch den Tod seiner Frau, mit der er sieben Jahre glücklich verheiratet war. Zu Beginn des vierten Dramas übernimmt Strader eine neue Aufgabe als Entwicklungsingenieur und Berater in einem Projekt, das der Fabrikbesitzer Hilarius Gottgetreu initiiert. Hilarus Gottgetreu steht im Zusammenhang mit drei anderen Charakteren der ersten drei Dramen – Romanus, Torquatus und Bellicosus. Sie erscheinen im dritten Drama als Mitglieder eines rosenkreuzerischen Bundes, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf der Grundlage überlieferter Spiritualität wirkt. Am Ende des dritten Dramas werden sie in ihrer Aufgabe abgelöst von Johannes, Capesius und Strader. Dieses wichtige Ereignis bildet den Hintergrund für das vierte Drama. Als Schüler des Benedictus gestalten sie ihre spirituelle Verantwortung in einer Form, die innig verbunden ist mit ihrem täglichen Leben und mit praktischer Arbeit. Dies ist neu und bringt sie in Konflikt mit Menschen, die in der bisher üblichen Weise weiterwirken wollen, wo spirituelle Aktivität und praktisches Leben unvereinbar sind. Der Seelen Erwachen beginnt dort, wo erstmals in der Geschichte der Menschheit, die Schüler des Benedictus das neue Ideal – die Verquickung von Spiritualität und praktischem Leben – verwirklichen wollen. Ort des Geschehens ist die Farbik des Hilarius Gottgetreu.

(Entnommen dem deutschsprachigen Programmheft von „The Soul´s Awakening“, aufgeführt durch „Portal Productions“ 1994/95)

Der Seelen Erwachen

Erstes Bild
Sekretär und Bürochef besprechen den Niedergang ihres Fabrikunternehmens. Die Ursache dafür liege in der Verbindung des Erben und jetzigen Besitzers Hilarius Gottgetreu mit einer Gruppe von „Träumern und Phantasten“. Darauf gibt Hilarius Gottgetreu dem Bürochef Rechenschaft über seine Ziele. Alles, was bisher allein zweckmässig hergestellt wurde, soll durch Thomasius künstlerisch geformt werden. Strader soll die Durchführung der Arbeit im Werk übernehmen. Benedictus, Capesius und Maria sollen durch ihre Darstellungen das Verständnis für das neue Ziel schaffen.
Es soll dem Menschengeist die Wege weisen,
Dass ihm Bedürfnis werde, Sinnensein
Mit Geistesoffenbarung zu durchdringen.


Der Bürochef sieht in dieser Zielsetzung den Untergang des Werkes und verweigert seine Mitarbeit. Dazu veranlasst ihn nicht nur seine bisherige Erfahrung, sondern auch Studium und Nachdenken haben ihn gelehrt, dass Geistesforscher, welche aus der geistigen Welt ins Erdensein zurückfinden, in der Gefahr sind, Wahn von Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden zu können. Denn aus der Geisteswelt stiegen dann Gebilde auf, welche den Blick für die Realität in der physischen Welt verwirrten. – Auch Strader gegenüber, der in das Gespräch eintritt, bleibt der Bürochef bei seiner abschlägigen Antwort. Strader entgegnet:
Doch wird geschehen, was geschehen muss.
Es wird erneute Prüfung meiner Pläne – –
Vielleicht die Ansicht wandeln, die ihr euch
Beim ersten Überdenken bilden musstet.

Die drei Gedankenstriche und das hervorgehobene „vielleicht“ erläuterte Rudolf Steiner bei der Uraufführung dem Darsteller des Strader, Max Gümbel-Seiling, folgendermassen: In diesem Augenblick schaut Strader Theodora und ahnt seinen Tod. Deshalb unterbricht er sich und schwächt den Satz durch das „vielleicht“ ab.

Zweites Bild
 Johannes Thomasius befindet sich in einer Stimmung, welche ihn sein eigenes geistiges Sein, den Geistesforscher, vergessen lassen möchte, um in der Schönheit der ihn umgebenden Landschaft nur als Künstler zu leben, den „Weltenzauber“ zu empfinden. Er wünscht so zu sein, wie er in seiner Jugend, vor seiner Geistesentwicklung war. Dieser Wunsch entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Der Wunsch erschafft Seelenwahn. (Johannes lebt also genau das dar, was der Bürochef als Gefahr für den Geistesforscher sieht.) Johannes erkennt dieses wohl, indem in seinen Gedanken wesenhaft Maria und Benedictus zu ihm sprechen. Und trotzdem gibt er sich den abgelebten Seelenwünschen hin.
Capesius – von Johannes unbemerkt – hat in innerer Geistesschau die Seelenvorgänge in Johannes miterlebt. Nachdem Johannes ihm die Wahrheit des Geschauten bestätigt hat, erkennt Capesius in diesem Erlebnis das Zeichen, dass er eine neue Stufe der Geistesentwicklung erstiegen hat, die ihm für den Augenblick verbietet, Geistesoffenbarung mit dem Sinnensein in Verbindung zu bringen. Darum trennt er sich von der gemeinsamen Zielsetzung, die Gottgetreu Benedictus und seinen Schülern gegeben hat. Maria, welche hinzugetreten ist, schaut Lucifer in der Seele des Capesius wirksam werden. – Auch Johannes glaubt in dem eben Durchlebten erkennen zu müssen, dass ihm die Kraft, Geist und Erdenwirksamkeit zu verbinden, noch fehlt. Er trennt sich von dem Werk Gottgetreus. Auch in ihm schaut Maria Lucifers Wirken. Aus geistiger Inspiration ruft Maria Johannes auf, seinen Seherblick auf die Welt der elementarischen Wesen, der Schatten, der Schemen und Dämonen zu richten und diese mit seinem eigenen schattenhaften, abgelegten Seelenwesen der Vergangenheit zu vergleichen; sich selbst aber, sein geistiges wahres Wesen, im Reiche der hierarchischen Götterwesen zu ergründen. Gegen seinen Wunsch gibt sich Johannes dem von ihm geforderten Schauen hin. Gnomen, die Baumeister des Erdenstoffes, und Sylphen, die Pfleger des Lebens in den Menschen, im Verein mit den vier Seelenkräften sprechen aus, wie der Geist fortwährend versinnlicht wird. (Die Natur selbst spricht aus, wie sie das Ideal des Hilarius Gottgetreu beständig verwirklicht.) Aber alles entschwindet dem Bewusstsein des Johannes wieder, bis auf die letzten Worte der anderen Philia:
Und wachendes Träumen
Enthüllet den Seelen
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.

Diese Worte bewirken, dass der Seelenwahn für Johannes Gestalt annimmt im Geiste seiner Jugend. Dieser schattenhafte Geist hat ein Schicksal, das Johannes durch sein Verhalten bestimmt. Gibt sich Johannes in träumender Erinnerung seinen eigenen Jugendempfindungen hin, so lebt der Schatten in ihm auf. Gibt er sich allein seinem geistigen Menschen hin, so muss der Schatten anderen Schattenwesen, „den grausen Schatten schlimme Dienste leisten“. Die vergleichenden Gedanken des Johannes werden weiter wesenhaft, indem Lucifer den Geist seiner Jugend mit seiner Seele verbinden will, Theodora aber diesen Geist den elementarischen Wesen vereinen möchte. - Dann tritt die andere Philia wieder vor die Seele des Johannes und lässt ihn erkennen, warum „Wahn“ sich zwischen Geisteswelt und Erdenwelt hineinschiebt. Hat die Seele nicht die volle Reife erlangt, die ihr das Recht gibt, in die geistige Welt zu schauen, dann wirft sich der Anblick der geistigen Welt zurück auf ein Reich halberwachter Schattengeister; dieses Zwischenreich zwischen Geisterland und Erdenwelt spiegelt das Bild der Geisteswelt zurück. Die Wirklichkeit der Geisteswelt bleibt verborgen. Soviel an Reife die Seele erlangt hat, soviel Wahrheit überantwortet ihr die geistige Welt. Deshalb endet die andere Philia mit den Worten:
Johannes, dein Erwachen bleibt ein Wahn,
Bis du den Schatten selbst erlösen wirst,
Dem deine Schuld verzaubert Leben schafft.

Drittes Bild
In einem Streitgespräch vertreten die vier abgetretenen Rosenkreuzer ihre Meinung über Gottgetreus Plan. Bellicosus tritt für die vollständige Durchführung des Planes ein; Romanus möchte denselben nur mit Strader durchführen unter der Bedingung, dass dieser sich von den anderen Schülern des Benedictus trennt; Torquatus dagegen hält Strader für unfähig, innere Geisterlebnisse zu haben und stellt in diesem Sinne auch das Urteil des Benedictus in Frage; während der Worte des Torquatus schleicht Ahriman stumm über die Bühne; Gottgetreu, von Romanus dazu aufgefordert, seinen Plan allein mit Strader durchzuführen, erkennt klar, dass dieser sich von Benedictus und seinen Freunden nicht trennen wird. Das Gespräch endet ohne Ergebnis. – Strader ringt mit Capesius um dessen Mitwirkung bei der Verwirklichung von Gottgetreus Plan. Capesius aber weiss, dass er jetzt nur den rein mystischen, rein auf die innere Geistesentwicklung gerichteten Weg gehen kann. Felix Balde unterstützt Capesius und sieht die Notwendigkeit aus seiner mystischen Erfahrung heraus, Mystik und äusseres Werk scharf voneinander zu trennen. Strader muss nicht nur die gemeinsame Wirksamkeit aufgeben, er erlebt sich auch innerlich von Capesius und Felix Balde ausgeschlossen, denn ihm ersteht das geistige Schauen gerade aus Tatgedanken. Er ruft die geistige Welt um Hilfe an: sind seine Gedanken Wahrheit oder Irrtum? Da treten in sein geistiges Schauen Benedictus, Maria und Ahriman. Benedictus fordert Strader auf, in den Abgrund, den Capesius und Felix Balde zwischen sich und ihm aufgetan haben, hineinzuschauen. In verwirrender Weise bestärkt Ahriman ihn in diesem Tun. Strader schaut in den Abgrund. In wildem Kampf stürzen sich Schemen und Schattenwesen durcheinander. Aus diesen tritt Maria ihm hervor und fordert von ihm, dass er die Dämonen mit dem Licht seiner Erkenntnis beleuchte, so dass sie ihm in ihrer wahren Gestalt erscheinen. Aber er bleibt unvermögend, Licht auf die dämonischen Wesen auszustrahlen. Mit harten Worten nennt Maria den Grund seines Unvermögens: Feigheit. Benedictus weist Strader die Schatten, welche Felix locken, und jene, welche zu Capesius drängen. Ahriman deutet Strader an, dass er selbst von Schatten umgeben ist, die Benedictus nicht schauen kann. Und Strader erinnert sich im Schauen plötzlich an das Wort des Bürochefs: Das Wort vom Wahn. Maria lässt ihn erkennen, wie Capesius und Felix sich auf ihre Weise das Schwert formen, ihre Schatten zu bekämpfen. Diese muss Strader kennen, damit er sich selber sein eigenes Schwert schmieden kann. Die Geistesschau erlischt. Felix Balde fühlt, wie schmerzlich Strader die entstandene Kluft zwischen ihnen fühlbar geworden ist. Um seinen Standpunkt nochmals verständlich zu machen, gibt er ihm zu bedenken, dass die übersinnlichen Märchengestalten Felicia Baldes allen Zauber einbüssen müssten, wenn sie als Puppen auf eine Bühne gebracht würden. Davon will aber Felicia Balde nichts hören; im Gegenteil ist sie entzückt von Straders Plan und hofft durch ihn viele ihrer Märchengestalten als Puppen in Kinderstuben einziehen zu sehen.

Viertes Bild
Romanus sucht den Bürochef für eine Zusammenarbeit mit Strader in Gottgetreus Werk zu gewinnen. Der Bürochef weist dieses Ansinnen nach wie vor energisch zurück. In für ihn furchterregender Weise erlebt er in Straders Wesen und Worten die Wirksamkeit von Naturdämonen und Elementengeistern, die Strader selbst unbewusst bleiben. Nicht die Argumente des Romanus sind ihm einleuchtend, aber dessen Charakter und Lebenshaltung flössen ihm Vertrauen ein. – Johannes verarbeitet innerlich die Erlebnisse des zweiten Bildes. Mit den Worten der anderen Philia tritt sein Doppelgänger an ihn heran. Im inneren Gedankengespräch mit diesem, dem Geist seiner Jugend, dem Hüter, Ahriman, Benedictus und Maria erkennt Johannes, wie sein Wünschen alles, was er geistig schaut, immer mehr zum Wahngebilde macht. So wird er sich der Verzauberung seines eigenen Wesens immer stärker bewusst. – Strader bittet Benedictus und Maria um ihre Mitwirkung am Werke Gottgetreus, nachdem sich Capesius und Thomaisus davon getrennt haben. Benedictus antwortet, dass Maria Johannes auf seinem Weg begleiten muss; auf die Frage an ihn selbst gibt er keine Antwort. Was Ahriman im dritten Bild angedeutet hat, was der Bürochef gefühlsmässig erlebt, das schaut Benedictus zum ersten Mal in diesem Augenblick. Straders Seele ist verbunden mit Wesen, welche in ihm ein keimhaftes Sein leben, die aber Böses wirken würden, wenn sie durch Straders Wirksamkeit schon jetzt den Weg ins Stoffgebiet finden würden. Strader nimmt diese Worte überhaupt nicht auf. Doch erkennt er, dass Einsamkeit ihm das Schwert schmieden muss, das er braucht. Theodora tritt helfend an seine Seele heran. – Benedictus hat das Schicksal Straders ausgesprochen. Maria hat nie vorher erlebt, dass dies gegenüber einem Schüler geschah, der auf Straders Stufe stand. Um die Wirkung dieser Worte befragt, antwortet Benedictus, dass ihm der schauende Blick im Suchen ersterbe. Wer tötet den sicheren Seherblick des Benedictus? Johannes flieht mit dem Seherblick des Lehrers in die geistigen Welten. Maria erlebt, wie ihr eigenes Denken, ja ihr eigenes Selbst in Johannes’ Seele aufgeht und so sich wie in einem inneren Flammensturm in die geistige Welt erhebt.

Fünftes Bild
Das Geistgebiet zur Sonnenzeit schildert das Dasein der Seelen im Geistgebiet zwischen dem Tode des mittelalterlichen Lebens und vor der Geburt in das gegenwärtige Leben hinein. Felix Baldes Seele bildet als Diener Lucifers die Kräfte seines Ichs aus und erlebt in den Gnomen, welche die Seele des Hilarius Gottgetreu umgeben, die Berührung mit dem Gewicht, das nach der Erde herabzieht. Hilarius’ Seele ist ein Kenner und Verwandter der Gnomenwelt. Die Auseinandersetzung mit der Schwere ruft Ahrimans Interesse und Wirken herbei. Das Wort vom Gewicht der Erdenkräfte, welche dem geistigen Schwebetrieb Widerstand erschaffen, wird von der Seele Straders aufgenommen. Die andere Philia und die drei Seelenkräfte verweben Straders Wesen mit dem Wesen der Gnomen; aber so, dass er auf der Erde deren Wirksamkeit wohl fühlen wird, sie sich aber nie wird denkend zum Bewusstsein bringen können. Somit wird er auch nie die geistigen Impulse, welche diese Wesen ihm geben, ins Sinnensein überführen können. – Capesius’ Seele bildet ihr Wesen und Schicksal aus im Anblick der Seele Straders. Was er so erlebt, pflanzt Keime des Denkens in ihn ein, die ihn einst auf der Erde den Sinn des Erdenlaufes werden erkennen lassen. – Bevor die Sonnenzeit zu Ende geht, schafft Lucifer für die Seelen von Felix Balde, Strader, Capesius und Hilarius Gottgetreu einen Anblick, für den sie in dieser Zeit noch nicht reif sind und der sie deshalb schmerzen muss. „Es muss das Leid mit Zweifel sie befruchten.“ So erscheinen die Seele des Benedictus und die Seele der Maria mit der Seele Frau Baldes’. Der Hüter tritt an die Seelen von Benedictus und Maria heran und trennt die Sphären ihrer Seelen von den Seelen der anderen.

Sechstes Bild
Wiederum im Geistgebiet, jetzt zur Saturnzeit, erlebt die Seele des Capesius ihre Schuld im Mittelalter und ihre dadurch notwendige Schicksalsbeziehung zu der Seele des Josef Kühne – Felix Balde. Romanus’ Seele begleitet kommentierend dieses Erlebnis. – Romanus verfolgt das weitere Geschehen. Die Seele der Theodora, vereinigt mit der Seele von Frau Balde, nähern sich der Seele des Felix Balde. Die andere Philia führt sie an. Das Bild dieser Gestalten strahlt Liebe, Sanftmut und Schönheit aus. Das Bild wird für die Seele des Torquatus zugleich der Widerschein seiner eigenen Sehnsucht, die er zu Romanus hinüberstrahlt und die in diesem Milde und die Fähigkeit des Mitgefühls erzeugt. Die Seele des Bellicosus ruft die ehemaligen und zukünftigen Geistesbrüder auf, den Worten der Seelen von Theodora und Frau Balde zu lauschen. Diese strahlen im Verein mit den Sylphen der Seele des Felix Balde Kräfte zu. Die andere Philia wiederum webt auf der einen Seite zusammen mit den Sylphen am Schicksal Theodoras, wie es aus der Verbindung mit ihrem Bruder Thomas im mittelalterlichen Leben sich weiterbildet; auf der anderen Seite ruft sie Frau Baldes Seele auf, von Stern zu Stern zu wandern, um dort die Kräfte zu sammeln, nach denen Dämonen sich sehnen, um Menschenseelen auf Erden durch Phantasie zu beflügeln. So bildet Frau Baldes Seele ihr eigenes Wesen aus. Indem die „Geistesbrüder“ das Wort des Schaffens und das Wort der Liebe aufnehmen, schaffen sie Keime für ihr späteres Erdenwirken. - Der Hüter der Schwelle führt die Seelen des Benedictus und der Maria zur Erkenntnis ihrer Weltenmitternacht zwischen Tod und Geburt. Lucifer mit der Seele des Johannes tritt hinzu. Das Schicksal der drei Seelen gestaltet sich. Was Marias Liebe von dem Wesen des Benedictus umschliesst, wird zum Grundton der Seele des Johannes Thomasius. Maria nimmt mit der Hilfe Astrids und Lunas die Kräfte auf, sich dieser Weltenmitternacht im Erdendasein später zu erinnern. – Der Geist von Johannes Jugend erscheint in noch unausgelebter, keimhafter, engelartiger Wesenheit. Lucifer nutzt sein Dasein, die Dissonanz in das Schicksal der drei Seelen zu werfen.

Siebtes Bild
Unmittelbar vor der Einweihung eines jungen Neophyten zum Priester und Rater des Königs berät sich der Opferweise und König (Capesius) mit zwei ihm untergebenen Priestern, dem Schwellenhüter (Felix Balde) und dem Mysten (Felicia Balde) über dessen Eignung und Fähigkeit. Der Opferweise wirft der Priesterschaft vor, weder die Seele des jungen Mannes, die er von Sinnesleidenschaft erfüllt weiss, noch das Gewicht des kultischen Vorganges beurteilen zu können. Zuletzt allein im Tempel, erlebt er die Einsamkeit in seiner Verantwortung.

Achtes Bild
Eine junge Ägypterin (Johannes Thomasius) tritt von aussen an den Tempel heran, in welchem durch die Einweihung ihr Geliebter, der junge Neophyt (Maria) ihr für immer genommen wird. Ihr bleiben nur Leid und Tod. Träumend trägt sie die Sehnsucht ins Innere des Tempels zu dem Geliebten. – Die Einweihung des Neophyten nimmt zunächst ihren gesetzmässigen Gang: Er durchschreitet die vier Elemente, erlebt seine eigene Seele vierfältig aus dem Kosmos ertönend und wird durch die Aufnahme des Weltenwortes in der Opferflamme aus dem Leibe entrückt. Durch den höchsten Opferweisen wieder im Leibe erweckt, hat er nicht Geistiges geschaut, sondern den eigenen Leib, aus Geistes­sicht, erbaut und gepflegt von geistigen Wesen. Im Geisterland aber erwachte ihm der Wunsch, wieder ganz in das Leibesdasein unterzutauchen. Dies konnte geschehen, weil der Opferweise und König im Augenblicke der Entrückung sich enthalten hatte, das magische Wort denkend zum Neophyten hinüberzuschicken und ihn damit in die geistige Welt hinaufzuleiten. Die Mysterientradition der Vergangenheit ist abgebrochen. Der junge Mann hat nicht das Denken des Opferweisen, er hat sein eigenes Wesen erlebt und verkündet. „Die Wahrheit hat gesiegt.“ Die Priesterschaft ist in Furcht und Schrecken versetzt. Die Sphinxe, als welche Ahriman und Lucifer erscheinen, beginnen zu sprechen, hörbar nur für den Neophyten, den Opferweisen und den höchsten Opferweisen (Benedictus). Der Geist hat die tote Form ergriffen.

Neuntes Bild
Maria erwacht in ihrer Meditation im inneren Gespräch mit Astrid, Luna, dem Hüter der Schwelle und Benedictus zum erinnernden Erleben der Weltenmitternacht. Zugleich erkennt sie sich selbst in ihrer Inkarnation als Neophyt. Die Tat des Opferweisen liess sie als erste Seele die Morgenröte der griechischen Kultur erleben. Auch die Frau ausserhalb des Tempels wird ihrem erinnernden Schauen bewusst. Maria ahnt den Zusammenhang dieser Gestalt mit dem Schattenwesen des Geistes von Johannes Jugend.

Zehntes Bild
Johannes erschaut die Frau am Tempel, ohne zunächst sich selbst in ihr zu erkennen. Geführt durch die andere Philia und durch Maria, findet er den Geist seiner Jugend und erlebt jetzt – ohne wunschhaften Anteil – wie das zurückgelassene und unerfüllte Leben der Frau im Tempel und der zurückgelassene Schatten seines nicht zur Blüte gelangten Geistes der Jugend zueinander streben und sich bedingen. Der Wahn löst sich auf. Johannes beginnt Maria in Wahrheit zu erblicken mit einer Liebe, „die im All das Selbst erschaut“. – Lucifer greift noch einmal mit den magischen Worten des dritten Bildes aus dem „Hüter der Schwelle“ ein, aber das heilig ernste Gelöbnis Marias hat die Heilerstrahlung in der Seele des Johannes bewirkt.

Elftes Bild
Strader erfährt von Benedictus, dass die harten Worte Marias am Abgrund (im dritten Bild) durch seinen eigenen Geist geschaffen wurden. Und Strader erkennt, dass der Widerstand, den Romanus und der Bürochef seinem Werk jetzt entgegensetzen und in dem er das Wirken Ahrimans ahnt, einen Mut von ihm fordert, an dem gemessen sein bisheriger Mut blosse Feigheit war. Ein imaginatives Bild, in welchem Strader dieses schaute, erscheint dem Seherblick des Benedictus noch nicht voll ausgereift.
Ich fühle, ihr vermögt die Kraft zu stärken,
Die euch dies Bild vor Geistesaugen stellte.

Doch wie es sich vollziehen wird
verbirgt sich meinem Schauen.

Zwölftes Bild
Im Innern der Erde denkt Ahriman darüber nach, wie er Macht über Strader erhalten kann, um Benedictus zu schaden. Ahriman hat im Schicksalsbuch gelesen, dass Straders Tod bevorsteht. Darum ist Eile geboten. Er holt sich deshalb die Seele Ferdinand Reineckes und inspiriert sie, so dass sie die Fähigkeit erlangt, Strader einen Denkfehler in seinem Mechanismus nachzuweisen. Aber die Seele der Theodora tritt Ahriman entgegen. Ahriman weiss, dass sein Streben erfolglos bleiben muss, wenn Strader mit Theodora verbunden bleibt, solange er lebt.

Dreizehntes Bild
Hilarius schildert die Tragik seines eigenen Lebenslaufes durch die Zerstörung von Straders Wirksamkeit in seinem Werk. Romanus ist von unerschütterlichem Glauben an das Wesen Straders erfüllt. Er ahnt in diesem Augenblick den Hüter der Schwelle an Straders Seite. – Der Sekretär führt Felix Balde und Capesius ins Zimmer, Benedictus ist aber verreist. Auf Gottgetreu wartend, schildert Capesius Felix Balde, wie an diesem Morgen Straders Seele in seine geistige Schau eingetreten ist und ihm die Worte Felix Baldes’ aus dem dritten Bilde so wiederholt habe, dass innere Mystik und äussere Tat harmonisch ineinanderströmen. Felix Balde kann darin nur einen Irrtum erblicken. Philia erscheint dem Capesius. Durch die Botschaften von Strader und Philia erkennt Capesius die Möglichkeit, in Zukunft sein Erdendenken in das geistige Schauen hinaufzuführen. So wird er bewusst, in voller Besonnenheit, dem Hüter der Schwelle entgegentreten können.

Vierzehntes Bild
Im Gespräch zwischen Frau Hilarius und dem Bürochef, in welchem sie diesen um Aufgabe seiner Unnachgiebigkeit gegenüber ihrem Gatten bittet, ersteht das Bild Straders als eines überragenden Mysten, eines ganz dem Geist hingegebenen Erkenntnissuchers. Der Sekretär tritt ein und meldet den Tod Straders. Allein zurückgelassen, erinnert sich der Bürochef der Worte Straders am Anfang des Dramas:
Es wird geschehen, was geschehen muss!

Aus diesen Worten hat die geistige Welt zum ersten Mal zu ihm gesprochen.

Fünfzehntes Bild
Der Sekretär und die Pflegerin Straders, welche einen Brief an Benedictus zu übergeben hat, schildern Straders Wesen in seiner hohen Geistigkeit und seiner sonnenhaften Liebefähigkeit. Benedictus kommt und nimmt den Brief entgegen. Allein auf der Bühne, liest er seinen Inhalt. Strader beschreibt, wie in dem ersten imaginativen Bilde des elften Bildes ihm Ahriman als Kämpfer erstand. Nachdem Ferdinand Reinecke ihm den Fehler im Grundgedanken zu seinem Mechanismus gezeigt habe, habe er das Bild zum zweiten Mal geschaut. Da habe sich nicht Ahriman mehr gezeigt, sondern ein Geistesbote, der die Gestalt seines eigenen irrtumvollen Denkens gehabt habe. Daraufhin habe er sich der Worte des Benedictus erinnert, über die Möglichkeit der „Stärkung meiner Seelenkräftemacht“. Und sogleich verschwand der Geistesbote. - Hier vermag Benedictus nicht weiterzulesen. Chaos deckt ihm den Brief zu. Aus dem Chaos tritt Ahriman unerkannt an ihn heran. Aber Benedictus hält ihn ab, auch unerkannt in seine Seele einzudringen. Da flieht Ahriman vor der denkenden Erkenntnis seines Wesens durch Benedictus. Und während er flieht, wird er von Benedictus erkannt. Ahriman weiss nicht, dass er durch Erkenntnis erlöst wird. Der Anfang zu dieser erlösenden Erkenntnis ist gemacht. Straders sonnnenreife Seele hat sich mit Benedictus in diesem Erkennen vereint. Und so wird er Maria und Johannes vereint bleiben. Geist in die Materie zu führen, war der Plan zu Beginn des Dramas. Den Geist der Materie in vollerwachtem Geistesschauen denkend zu erkennen, schafft die Grundlage, auf der der Plan vom Beginn in Angriff genommen werden kann. So endet das vierte Drama mit einem mächtigen Geistessieg des Benedictus über Ahriman und seinen Geistestross, – die Natur der Materie, – wie ihn keines der drei  vorangehenden Dramen schildert.

(Entnommen dem Programmheft zu den Aufführungen der vier Mysteriendramen durch die Novalis-Bühne 1979-1986)